Effluvium, telogenes

Zuletzt geändert von Thomas Brinkmeier am 2024/11/02 21:09

Effluvium, telogenes

Def: Spätform einer diffusen Alopezie 2-4 Monate nach Einwirkung einer "Noxe" ohne Entzündungs- oder Vernarbungszeichen

Syn: diffuses Effluvium

Histr: Erstbeschreibung durch Kligman im Jahre 1961

Allg: - Der Haarzyklus umfasst aufeinanderfolgende Phasen des Wachstums und der Ruhe, die jeder Haarfollikel durchläuft, darunter die Anagenphase (aktives Haarwachstum), die Katagenphase (Rückbildung) und die Telogenphase (Ruhephase). Die Anagenphase kann etwa 2 bis 8 Jahre dauern, die Katagenphase dauert 4 bis 6 Wochen und die Telogenphase dauert 2 bis 3 Monate.

- Der normale Haarzyklus führt dazu, dass jedes Haar auf der Kopfhaut alle 3-5 Jahre ersetzt wird.

- Das physiologische tägliche Ausfallen von 100-150 Telogen-Haaren der Kopfhaut ist eine natürliche Folge des Haarzyklus. Normalerweise behalten die Follikel das Telogen-Haar, bis sie wieder in die Anagenphase eingetreten sind. Schließlich wird das alte Telogen-Haar durch neues Anagen-Haar herausgedrängt. Dieses Ausfallen führt nicht zu sichtbarer Alopezie. Eine vorübergehende Alopezie entwickelt sich, wenn die langen Telogen-Haare durch die kürzeren neuen Anagen-Haare ersetzt werden, vorausgesetzt, die Schädigung ist nicht repetitiv. Die Alopezie verschwindet, wenn die neuen Anagen-Haare innerhalb von 3-6 Monaten nachwachsen.

Gen: Eine genetische Ursache für das telogene Effluvium ist nicht bekannt.

Pg: gleichzeitiger Eintritt zahlreicher Anagenhaare in die Telogenphase

Note: - Da Telogenhaare selbst 2-4 Monate in diesem Zustand verbleiben, bevor sie ausfallen, macht sich der verstärkte Haarausfall erst mit entsprechender Verzögerung bemerkbar.

- Der Verlaust der Kopfbehaarung beim telogenen Effluvium beträgt normalerweise < 50%.

Ät: - "schwache" Noxen

Bsp: z. B. Infekte, Stress, Medikamente (s. Alopezie, chemisch und medikamentös bedingte)

- chronischer Mangelzustand

Bsp: Anämie (Eisen), Vitamin-, Zink- und Proteinmangel

- endokrinologische Dysregulation

Bsp: - Hypothyreose

Pg: Ein Mangel an Schildrüsenhormon hemmt die Zellteilung sowohl in der Epidermis als auch in den Hautanhangsgebilden. Dies kann zur Hemmung der Mitose, Induktion der Katagenphase und verzögertem Wiedereintritt von Telogen-Haaren in die Anagenphase führen.

- Hyperthyreose

Pg: unbekannt

- Hyperparathyreoidismus

- Morbus Addison

- Hypopituitarismus

- physiologischer Prozess (siehe: So)

So: physiologische telogene Effluvien

- neonatales Effluvium

- postpartales Effluvium

Pg: Ein hoher Gehalt an zirkulierendem plazentarem Östrogen verlängert die Anagenphase und führt während der Schwangerschaft zu vollem Haar. Der Entzug dieser trophischen Hormone bei der Entbindung bewirkt, dass alle überfälligen Anagen-Haare gleichzeitig in die Katagenphase übergehen. Dies führt einige Monate nach der Entbindung zu vermehrtem Ausfall von Telogen-Haaren.

- postpubertäres Effluvium

DD: Erstmanifestation der androgenetischen Alopezie (Beginn der Androgenproduktion)

- seniles Effluvium

Amn: Prodromi (2-4 Monate vor dem Haarausfall) Infektionen, hohes Fieber, Schwangerschaft, Operationen, Diäten, Stress

Verl: meist zunächst rasche Progredienz

Ass: z. T. als verstärkte Manifestation einer latenten androgenetischen Alopezie

Di: - Trichogramm

Bef: Erhöhung der Telogenrate auf über 30% (bis max. 90% möglich)

Note: Normalerweise beträgt der Telogenanteil nur bis ca. 15%

- Laborbestimmungen

Etlg: - Routinelabor mit Blutbild, Albumin und Leberwerten

- Hormone

Bef: TSH, T4, T3, Parathormon, Prolaktin

- Sexualhormone

Ind: v.a. bei Frauen und diagnostischer Unsicherheit (s. Androgenetische Alopezie)

- Eisen, Transferrin, Ferritin, Zink, Vitamin B12, Folsäure

Lit: J Invest Dermatol 2003; 121: 985-8

Erg: signifikant erniedrigte Ferritin-Spiegel bei Patientinnen mit androgenetischer Alopezie und Alopecia areata, jedoch nicht bei telogenem Effluvium und Alopecia totalis/universalis

- Autoimmunserologie

Bef: Schilddrüsen-Ak, ANA, ENA, AMA

- Infektionsserologie

Bef: TPHA, VDRL, Hepatitis B/C, HIV

- Vitamin D-Serumspiegel (25-OH-Vit. D3)

Lit: J Drugs Dermatol. 2016 Oct 1;15(10):1235-1237

Erg: relevanter Marker neben Ferritin und Zink

- Histologie

Ind: meist entbehrlich

Bef: Zunahme der Telogenrate der Haarfollikel auf mindestens 15% (hoher Verdacht) bzw. mindestens 25% (beweisend) bei einem Normwert zwischen 6-13%

Prog: - Aufklärung des Pat., dass (nach Beseitigung ggf. erkannter Störungen) innerhalb von 6 Monaten das normale Haarwachstum wieder einsetzt; ansonsten spricht man auch von einem chronischen telogenen Effluvium

- Etwas präziser ausgedrückt: Die Dauer des Haarausfalls beträgt bei nicht-repetitiven Noxen ca. 3-6 Monate. Nach weiteren 3-6 Monate kann üblicherweise ein Nachwachsen der Haare festgestellt werden. Das Erreichen einer kosmetisch akzeptablen Haardichte kann jedoch 12-18 Monate in Anspruch nehmen.

DD: psychogenes Pseudoeffluvium

Th: - Substitutionstherapie

Ind: insbes. bei gleichzeitig brüchigen Fingernägeln (Onychoschisis, Onychorrhexis)

Appl: oral oder intraläsional/intrakutan als Mesotherapie

OTC: - Ferrosanol®

Note: Der Serum-Ferritinspiegel sollte (je nach Literaturquelle) über 40 ng/ml oder 70 ng/ml betragen. Die Einnahme sollte möglichst morgens nüchtern erfolgen oder bis zu 3-4x pro Tag jeweils um 2 h zu den Mahlzeiten versetzt.

- Pantovigar® N Kps.

Inh: Cystin, Keratin, Thiaminnitrat, Calciumpantothenat, Trockenhefe

Appl: 3x/Tag

- Zinkorotat POS® Tbl.

Appl: 2-3x/Tag

Note: Biotin scheint wirkungslos zu sein.

- topische Therapie

Stoff: - Minoxidil

- Thymus-Peptide

OTC: Thymuskin® (als forte, med, classic oder prevent)

  

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