Hyposensibilisierung
Hyposensibilisierung
Syn: Desensibilisierung, spezifische Immuntherapie (SIT)
Ind: - i. d. R. ab dem 5. Lj., ggf. auch schon früher (insbes. SLIT)
- möglichst monovalente Allergie mit klar identifiziertem Allergen
Note: - bei polyvalenter Sensibilisierung ggf. vorab nasaler (ggf. auch konjunktivaler) Provokationstest zur Identifizierung des beschwerdeführenden Allergens
- möglichst nicht mehr als 4 Allergene einer Pflanzengruppe in der Hyposensibilisierungs-Lsg.
- hohe Allergenexposition (insbes. unter Berufsbedingungen)
- Ausschöpfen anderer Maßnahmen wie Allergenkarenz oder symptomatische Therapie
- erhebliche Nebenwirkungen der Pharmakotherapie
- beginnender Etagenwechsel bei Inhalationsallergenen bzw. Asthmaprävention bei Kindern
- positive Familienanamnese für obstruktive Atemwegserkrankungen bei Inhalationsallergie
- Verfügbarkeit standardisierter, qualitativ hochwertiger Allergenextrakte mit entsprechendem Wirksamkeitsnachweis
SS: keine Einleitung einer Hyposensibilisierung in der SS, Fortsetzung aber möglich (siehe auch unter Kontraindikationen)
Note: Die spezifische Immuntherapie (SIT) ist auf längere Dauer deutlich kosteneffektiver als die symptomatische Therapie bei allergischer Rhinokonjunktivitis und allergischem Asthma.
Stoff: - Antigene
- saisonale und perenniale Inhalationsallergene (insbes. Pollen, Gräser, Milben)
EbM: MA für Pollen- und Milbenextrakte bei Asthma
Proc: Einleitung der Hyposensibilisierung außerhalb der Flug- und Beschwerdezeit bei saisonalen Allergenen, Unterbrechung, Fortsetzung oder Reduktion während der Saison in Abhängigkeit vom Allergenextrakt und individueller Verträglichkeit
- Tierepithelien
- Insektengifte (Biene, Wespe)
Allg: Wespen geben pro Stich etwa 3-10 Mikrogramm Gift ab, Bienen bis zu 200 Mikrogramm
Ind: - auch bei älteren Pat. mit Begleiterkrankungen
- bei Kindern < 16 J. mit rein kutanen anaphylaktoiden Stichreaktionen eher zurückhaltend
Erkl: Reaktionsstärke scheint bei weiteren Stichen meist nicht progredient
- Impfstoffe
Etlg: - wässrige Allergenextrakte
Eig: native Allergene in wässriger Lösung
Ind: - sog. Schnellhyposensibilisierung, Domäne bei der Einleitungshyposensibilisierung von Insektengiftallergien
- Unverträglichkeit anderer Impfstoffe
- Allergoidimpfstoffe
Eig: chemische Modifikation (Konformationsänderung durch Polymerisierung) des Allergens, ggf. nach vorausgehender Hydrolyse
Meth: z. B. Vorbehandlung mit Formaldehyd oder Glutaraldehyd (Polymere) oder Carbamylierung (Monomere)
Pos: - erniedrigte Allergenität (weniger B-Zell-Epitope, weniger IgE-Bindung)
- erniedrigte Nebenwirkungen
- erhöhte Immunogenität (Erhalt der T-Zell-Epitope)
- (Semi)-Depotpräparate
Eig: physikalische Kopplung des nativen Allergens oder des chemisch modifizierten Allergens (Allergoids)
Etlg: - durch Adsorption an Aluminiumhydroxid, Kalziumphosphat, Tyrosin o.a.
- durch Adjuvanzien
Bsp: Monophosphoryl-Lipid A
Pos: gleichmäßige Freisetzung des Allergens über längere Zeit
Meth: - subkutane Immuntherapie (SCIT)
- Durchführung/Beginn im freien Intervall ggf. mit saisonaler Dosisreduktion
Bsp: Bei Pollenallergikern Dosisreduktion auf 1/5 bis 1/10 der Dosis während der Pollensaison.
- Injektion subkutan im distalen lateralen Drittel des Oberarms
- Beginn mit subklinisch kleinen Dosen, die im Verlauf der Therapie über Tage bis Wochen gesteigert werden
Bsp: Beginn mit 0,1 ml der Stärke 1 und Steigerung bis 1,0 ml der Stärke 4, nachfolgend meist 1,0 ml der Stärke 4 als Depotpräparat in monatlichen Abständen
- sublinguale Immuntherapie: siehe hier spezielle Indikationen und Kontraindikationen unter dem Stichwort (SLIT)
Note: Unterschiede zwischen SCIT und SLIT sind in erster Linie bei den Kontraindikationen zu berücksichtigen.
- epikutane Immuntherapie
Lit: J Allergy Clin Immunol. 2012 Jan;129(1):128-35
PT: RCT
Bed: experimentell
Merk: Allgemeine Richtlinien zur Methodik:
- keine Frühblüher (Bäume) mit Spätblühern (Gräser) mischen
- keine saisonalen mit perennialen Allergenen in einem Extrakt mischen
- keine Allergencocktails mit mehr als 4 Substanzen benutzen
- strenge Indikationsstellung bei Hyposensibilisierung mit Schimmelpilzextrakten oder Tierepithelien
- keine Mischung von Milben und Tierepithelien oder Pollen mit Schimmelpilzallergenen
- zeitlicher Sicherheitsabstand von 15 min bei paralleler Injektion (kontralaterale Körperstellen) mit zwei unterschiedlichen Allergenextrakten (Überwachung von mind. 30 min nach der letzten Injektion)
Wirk: - Induktion einer Toleranz gegenüber dem betreffenden Allergen durch kurzfristige Aktivierung regulatorischer CD4+-Zellen (Treg) mit Produktion von IL-10 und TGF-beta
Przp: Nach initialem IgE-Anstieg kommt es zu einem kontinuierlichen IgE-Abfall und langfristig zur
- Verlagerung (Shift) der T-Zell-Antwort von Th2 (z. B. IL-4, IL-5) zu Th1 (insbes. IFN-gamma)
- Bildung blockierender IgG-Antikörper (insbes. IgG4)
- Induktion von Anti-IgE-Ak
- Herabregulation von CD23, dem niedrig affinen IgE-Rezeptor
Folg: Abfall der allergenspezifischen Histaminfreisetzung aus Mastzellen, basophilen und eosinophilen Granulozyten
- signifikante Besserung bei assoziierter atopischer Dermatitis
Lit: J Allergy Clin Immunol. 2013 May 3. pii: S0091-6749(13)00429-6. http://doi.org/10.1016/j.jaci.2013.02.044
PT: MA
Verl: Dauer der Hyposensibilisierung meist über 3 Jahre, bei Hymenopteren-Allergie (Biene, Wespe) über 5 Jahre
NW: - leichte Lokalsymptome an der Injektionsstelle (10%)
- Bronchospasmus
- anaphylaktische Reaktion (selten)
- Spätreaktion nach 4-8 h sind möglich
- wiederholte systemische Reaktionen während der Hyposensibilsierung
Urs: ggf. Kosensibilisierungen (z. B. Nahrungsmittelallergien oder Rhinitis allergica bei Insektengiftallergie) oder Begleiterkrankungen (z. B. Schilddrüsendysfunktion, Mastozytose, Fokalinfekt) oder psychovegetative Stressfaktoren
Prop: ggf. Prämedikation mit Antihistaminika
Altn: Fortsetzung mit der höchsten vertragenen Allergendosis mit verkürzten Intervallen (individuell festzulegen)
KI: - Pat. < 5 Jahre
Erkl: Altersgrenze eher aus psychologischen als aus immunologischen Gründen
Aus: potentiell lebensbedrohliche Insektengiftallergie (Indikation zur Hyposensibilisierung hier altersunabhängig)
- Schwangerschaft
Note: Eine gut tolerierte Hyposensibilisierung bei lebensbedrohlicher Sensibilisierung (z. B. gegenüber Insektengiften wie Biene/Wespe) kann unter der SS fortgesetzt werden; eine Hyposensibilisierung gegen Aeroallergene sollte in der SS abgebrochen oder mit stark verminderter Dosis (z. B. 1/10 der Erhaltungsdosis) fortgesetzt werden.
- schwere atopische Dermatitis (relative Kontraindikation)
Erkl: Exazerbationen der AD unter Hyposensibilisierung möglich
- schwerwiegende systemische Reaktionen bei durchgeführter SIT in der Vergangenheit
- fieberhafte akute oder schwere chronische Infekte
- Schutzimpfung
Note: - 2 Wochen Pause vor und nach der nächsten Hyposensibilisierung
- Sofort notwendige Impfungen wie Tetanus nach einer Verletzung können jederzeit erfolgen.
- konsumierende Erkrankungen/Malignome mit aktuellem Krankheitswert
Note: Wünschenswert wäre eine mind. 5 Jahre zurückliegende Krebserkrankung ohne Rezidive.
- Therapie mit Betablockern (lokal, systemisch) bei SCIT (bei SLIT s. spezifische Präparateinformation)
CV: auch Augentropfen!
Erkl: wegen der Gefahr des Versagens einer Adrenalin-Therapie bei Anaphylaxie durch die Betarezeptorblockade
- Therapie mit ACE-Hemmern bei Insektengiftallergie und geplanter SCIT
Erkl: Akkumulation von Bradykinin
CV: keine KI bei Inhalationsallergenen
- schwerwiegende kardiovaskuläre Erkrankungen oder sonstige Erkrankungen, bei denen die Gabe von Adrenalin kontraindiziert ist
Aus: Insektengiftallergie
- teilweise kontrolliertes oder unkontrolliertes Asthma bronchiale nach GINA 2007
Etlg: - Kinder mit teilweise kontrolliertem Asthma bronchiale
Def: 1-2 der u. g. Kriterien sind innerhalb einer Woche erfüllt
Note: Unkontrolliertes Asthma bronchiale liegt vor, wenn mind. 3 Kriterien des "teilweise kontrollierten Asthmas" innerhalb einer Woche erfüllt sind oder mind. 1 Exazerbation pro Woche auftritt
Bef: - Symptome tagsüber
- Einschränkung von Aktivitäten im Alltag
- nächtliche Symptome / Erwachen
- Einsatz einer Bedarfsmedikation /Notfallbehandlung
- Lungenfunktion < 80% des Sollwertes (FEV1) oder des persönlichen Bestwertes (PEF)
- mind. 1 Exazerbation pro Jahr
- Erwachsene mit teilweise kontrolliertem Asthma bronchiale
Def: 1-2 der u. g. Kriterien sind innerhalb einer Woche erfüllt
Note: Unkontrolliertes Asthma bronchiale liegt vor, wenn mind. 3 Kriterien des "teilweise kontrollierten Asthmas" innerhalb einer Woche erfüllt sind oder mind. 1 Exazerbation pro Woche auftritt.
Bef: - Symptome tagsüber > 2x/Woche
- Einschränkung von Aktivitäten im Alltag
- nächtliche Symptome / Erwachen
- Einsatz einer Bedarfsmedikation /Notfallbehandlung > 2x/Woche
- Lungenfunktion < 80% des Sollwertes (FEV1) oder des persönlichen Bestwertes (PEF)
- mind. 1 Exazerbation pro Jahr
Prop: Omalizumab zur Vorbehandlung vor SIT
Lit: J Allergy Clin Immunol. 2010 Feb;125(2):383-9
PT: RCT
- schwere Autoimmunerkrankungen und Immundefekte bzw. Immunsuppression
Note: Zu den schweren Autoimmunerkrankungen werden beispielhaft nicht gezählt: Hashimoto-Thyreoiditis, rheumatoide Arthritis, Colitis ulcerosa, Morbus Crohn, Diabetes mellitus; hier muss aber in jedem Einzelfall insbes. die Stärke der medikamentösen Immunsuppression berücksichtigt werden.
- Mastozytose
Aus: Insektengiftallergie (hier Indikation für lebenslange Hyposensibilisierung)
Note: Bei Reaktionen im Rahmen der Aufdosierung kann ein orales Antihistaminikum, in besonderen Fällen sogar Omalizumab, als Co-Medikation verordnet werden.
- schwerwiegende Sekundärveränderungen am Reaktionsorgan
Bsp: Lungenemphysem, Bronchiektasien, bestimmte Augenerkrankungen
- psychiatrische Erkrankungen oder mangelnde Compliance
Web: - http://www.dgaki.de (Institutionen & Offizielles)
- Handout zur Aufklärung: http://www.dgaki.de/leitlinien/s2k-leitlinie-sit/pat-info-scit/ und http://www.dgaki.de/leitlinien/s2k-leitlinie-sit/pat-info-slit/