Hyposensibilisierung

Zuletzt geändert von Thomas Brinkmeier am 2023/08/03 23:53

Hyposensibilisierung

Syn: Desensibilisierung, spezifische Immuntherapie (SIT)

Ind: - i. d. R. ab dem 5. Lj., ggf. auch schon früher (insbes. SLIT)

- möglichst monovalente Allergie mit klar identifiziertem Allergen

Note: - bei polyvalenter Sensibilisierung ggf. vorab nasaler (ggf. auch konjunktivaler) Provokationstest zur Identifizierung des beschwerdeführenden Allergens

- möglichst nicht mehr als 4 Allergene einer Pflanzengruppe in der Hyposensibilisierungs-Lsg.

- hohe Allergenexposition (insbes. unter Berufsbedingungen)

- Ausschöpfen anderer Maßnahmen wie Allergenkarenz oder symptomatische Therapie

- erhebliche Nebenwirkungen der Pharmakotherapie

- beginnender Etagenwechsel bei Inhalationsallergenen bzw. Asthmaprävention bei Kindern

- positive Familienanamnese für obstruktive Atemwegserkrankungen bei Inhalationsallergie

- Verfügbarkeit standardisierter, qualitativ hochwertiger Allergenextrakte mit entsprechendem Wirksamkeitsnachweis

SS: keine Einleitung einer Hyposensibilisierung in der SS, Fortsetzung aber möglich (siehe auch unter Kontraindikationen)

Note: Die spezifische Immuntherapie (SIT) ist auf längere Dauer deutlich kosteneffektiver als die symptomatische Therapie bei allergischer Rhinokonjunktivitis und allergischem Asthma.

Stoff: - Antigene

- saisonale und perenniale Inhalationsallergene (insbes. Pollen, Gräser, Milben)

EbM: MA für Pollen- und Milbenextrakte bei Asthma

Proc: Einleitung der Hyposensibilisierung außerhalb der Flug- und Beschwerdezeit bei saisonalen Allergenen, Unterbrechung, Fortsetzung oder Reduktion während der Saison in Abhängigkeit vom Allergenextrakt und individueller Verträglichkeit

- Tierepithelien

- Insektengifte (Biene, Wespe)

Allg: Wespen geben pro Stich etwa 3-10 Mikrogramm Gift ab, Bienen bis zu 200 Mikrogramm

Ind: - auch bei älteren Pat. mit Begleiterkrankungen

- bei Kindern < 16 J. mit rein kutanen anaphylaktoiden Stichreaktionen eher zurückhaltend

Erkl: Reaktionsstärke scheint bei weiteren Stichen meist nicht progredient

- Impfstoffe

Etlg: - wässrige Allergenextrakte

Eig: native Allergene in wässriger Lösung

Ind: - sog. Schnellhyposensibilisierung, Domäne bei der Einleitungshyposensibilisierung von Insektengiftallergien

- Unverträglichkeit anderer Impfstoffe

- Allergoidimpfstoffe

Eig: chemische Modifikation (Konformationsänderung durch Polymerisierung) des Allergens, ggf. nach vorausgehender Hydrolyse

Meth: z. B. Vorbehandlung mit Formaldehyd oder Glutaraldehyd (Polymere) oder Carbamylierung (Monomere)

Pos: - erniedrigte Allergenität (weniger B-Zell-Epitope, weniger IgE-Bindung)

- erniedrigte Nebenwirkungen

- erhöhte Immunogenität (Erhalt der T-Zell-Epitope)

- (Semi)-Depotpräparate

Eig: physikalische Kopplung des nativen Allergens oder des chemisch modifizierten Allergens (Allergoids)

Etlg: - durch Adsorption an Aluminiumhydroxid, Kalziumphosphat, Tyrosin o.a.

- durch Adjuvanzien

Bsp: Monophosphoryl-Lipid A

Pos: gleichmäßige Freisetzung des Allergens über längere Zeit

Meth: - subkutane Immuntherapie (SCIT)

- Durchführung/Beginn im freien Intervall ggf. mit saisonaler Dosisreduktion

Bsp: Bei Pollenallergikern Dosisreduktion auf 1/5 bis 1/10 der Dosis während der Pollensaison.

- Injektion subkutan im distalen lateralen Drittel des Oberarms

- Beginn mit subklinisch kleinen Dosen, die im Verlauf der Therapie über Tage bis Wochen gesteigert werden

Bsp: Beginn mit 0,1 ml der Stärke 1 und Steigerung bis 1,0 ml der Stärke 4, nachfolgend meist 1,0 ml der Stärke 4 als Depotpräparat in monatlichen Abständen

- sublinguale Immuntherapie: siehe hier spezielle Indikationen und Kontraindikationen unter dem Stichwort (SLIT)

Note: Unterschiede zwischen SCIT und SLIT sind in erster Linie bei den Kontraindikationen zu berücksichtigen.

- epikutane Immuntherapie

Lit: J Allergy Clin Immunol. 2012 Jan;129(1):128-35

PT: RCT

Bed: experimentell

Merk: Allgemeine Richtlinien zur Methodik:

- keine Frühblüher (Bäume) mit Spätblühern (Gräser) mischen

- keine saisonalen mit perennialen Allergenen in einem Extrakt mischen

- keine Allergencocktails mit mehr als 4 Substanzen benutzen

- strenge Indikationsstellung bei Hyposensibilisierung mit Schimmelpilzextrakten oder Tierepithelien

- keine Mischung von Milben und Tierepithelien oder Pollen mit Schimmelpilzallergenen

- zeitlicher Sicherheitsabstand von 15 min bei paralleler Injektion (kontralaterale Körperstellen) mit zwei unterschiedlichen Allergenextrakten (Überwachung von mind. 30 min nach der letzten Injektion)

Wirk: - Induktion einer Toleranz gegenüber dem betreffenden Allergen durch kurzfristige Aktivierung regulatorischer CD4+-Zellen (Treg) mit Produktion von IL-10 und TGF-beta

Przp: Nach initialem IgE-Anstieg kommt es zu einem kontinuierlichen IgE-Abfall und langfristig zur

- Verlagerung (Shift) der T-Zell-Antwort von Th2 (z. B. IL-4, IL-5) zu Th1 (insbes. IFN-gamma)

- Bildung blockierender IgG-Antikörper (insbes. IgG4)

- Induktion von Anti-IgE-Ak

- Herabregulation von CD23, dem niedrig affinen IgE-Rezeptor

Folg: Abfall der allergenspezifischen Histaminfreisetzung aus Mastzellen, basophilen und eosinophilen Granulozyten

- signifikante Besserung bei assoziierter atopischer Dermatitis

Lit: J Allergy Clin Immunol. 2013 May 3. pii: S0091-6749(13)00429-6. http://doi.org/10.1016/j.jaci.2013.02.044

PT: MA

Verl: Dauer der Hyposensibilisierung meist über 3 Jahre, bei Hymenopteren-Allergie (Biene, Wespe) über 5 Jahre

NW: - leichte Lokalsymptome an der Injektionsstelle (10%)

- Bronchospasmus

- anaphylaktische Reaktion (selten)

- Spätreaktion nach 4-8 h sind möglich

wiederholte systemische Reaktionen während der Hyposensibilsierung

Urs: ggf. Kosensibilisierungen (z. B. Nahrungsmittelallergien oder Rhinitis allergica bei Insektengiftallergie) oder Begleiterkrankungen (z. B. Schilddrüsendysfunktion, Mastozytose, Fokalinfekt) oder psychovegetative Stressfaktoren

Prop: ggf. Prämedikation mit Antihistaminika

Altn: Fortsetzung mit der höchsten vertragenen Allergendosis mit verkürzten Intervallen (individuell festzulegen)

KI: - Pat. < 5 Jahre

Erkl: Altersgrenze eher aus psychologischen als aus immunologischen Gründen

Aus: potentiell lebensbedrohliche Insektengiftallergie (Indikation zur Hyposensibilisierung hier altersunabhängig)

- Schwangerschaft

Note: Eine gut tolerierte Hyposensibilisierung bei lebensbedrohlicher Sensibilisierung (z. B. gegenüber Insektengiften wie Biene/Wespe) kann unter der SS fortgesetzt werden; eine Hyposensibilisierung gegen Aeroallergene sollte in der SS abgebrochen oder mit stark verminderter Dosis (z. B. 1/10 der Erhaltungsdosis) fortgesetzt werden.

- schwere atopische Dermatitis (relative Kontraindikation)

Erkl: Exazerbationen der AD unter Hyposensibilisierung möglich

- schwerwiegende systemische Reaktionen bei durchgeführter SIT in der Vergangenheit

- fieberhafte akute oder schwere chronische Infekte

- Schutzimpfung

Note: - 2 Wochen Pause vor und nach der nächsten Hyposensibilisierung

- Sofort notwendige Impfungen wie Tetanus nach einer Verletzung können jederzeit erfolgen.

- konsumierende Erkrankungen/Malignome mit aktuellem Krankheitswert

Note: Wünschenswert wäre eine mind. 5 Jahre zurückliegende Krebserkrankung ohne Rezidive.

- Therapie mit Betablockern (lokal, systemisch) bei SCIT (bei SLIT s. spezifische Präparateinformation)

CV: auch Augentropfen!

Erkl: wegen der Gefahr des Versagens einer Adrenalin-Therapie bei Anaphylaxie durch die Betarezeptorblockade

- Therapie mit ACE-Hemmern bei Insektengiftallergie und geplanter SCIT

Erkl: Akkumulation von Bradykinin

CV: keine KI bei Inhalationsallergenen

- schwerwiegende kardiovaskuläre Erkrankungen oder sonstige Erkrankungen, bei denen die Gabe von Adrenalin kontraindiziert ist

Aus: Insektengiftallergie

- teilweise kontrolliertes oder unkontrolliertes Asthma bronchiale nach GINA 2007

Etlg: - Kinder mit teilweise kontrolliertem Asthma bronchiale

Def: 1-2 der u. g. Kriterien sind innerhalb einer Woche erfüllt

Note: Unkontrolliertes Asthma bronchiale liegt vor, wenn mind. 3 Kriterien des "teilweise kontrollierten Asthmas" innerhalb einer Woche erfüllt sind oder mind. 1 Exazerbation pro Woche auftritt

Bef: - Symptome tagsüber

- Einschränkung von Aktivitäten im Alltag

- nächtliche Symptome / Erwachen

- Einsatz einer Bedarfsmedikation /Notfallbehandlung

- Lungenfunktion < 80% des Sollwertes (FEV1) oder des persönlichen Bestwertes (PEF)

- mind. 1 Exazerbation pro Jahr

- Erwachsene mit teilweise kontrolliertem Asthma bronchiale

Def: 1-2 der u. g. Kriterien sind innerhalb einer Woche erfüllt

Note: Unkontrolliertes Asthma bronchiale liegt vor, wenn mind. 3 Kriterien des "teilweise kontrollierten Asthmas" innerhalb einer Woche erfüllt sind oder mind. 1 Exazerbation pro Woche auftritt.

Bef: - Symptome tagsüber > 2x/Woche

- Einschränkung von Aktivitäten im Alltag

- nächtliche Symptome / Erwachen

- Einsatz einer Bedarfsmedikation /Notfallbehandlung > 2x/Woche

- Lungenfunktion < 80% des Sollwertes (FEV1) oder des persönlichen Bestwertes (PEF)

- mind. 1 Exazerbation pro Jahr

Prop: Omalizumab zur Vorbehandlung vor SIT

Lit: J Allergy Clin Immunol. 2010 Feb;125(2):383-9

PT: RCT

- schwere Autoimmunerkrankungen und Immundefekte bzw. Immunsuppression

Note: Zu den schweren Autoimmunerkrankungen werden beispielhaft nicht gezählt: Hashimoto-Thyreoiditis, rheumatoide Arthritis, Colitis ulcerosa, Morbus Crohn, Diabetes mellitus; hier muss aber in jedem Einzelfall insbes. die Stärke der medikamentösen Immunsuppression berücksichtigt werden.

- Mastozytose

Aus: Insektengiftallergie (hier Indikation für lebenslange Hyposensibilisierung)

Note: Bei Reaktionen im Rahmen der Aufdosierung kann ein orales Antihistaminikum, in besonderen Fällen sogar Omalizumab, als Co-Medikation verordnet werden.

- schwerwiegende Sekundärveränderungen am Reaktionsorgan

Bsp: Lungenemphysem, Bronchiektasien, bestimmte Augenerkrankungen

- psychiatrische Erkrankungen oder mangelnde Compliance

Web: - http://www.dgaki.de (Institutionen & Offizielles)

- Handout zur Aufklärung: http://www.dgaki.de/leitlinien/s2k-leitlinie-sit/pat-info-scit/ und http://www.dgaki.de/leitlinien/s2k-leitlinie-sit/pat-info-slit/

  

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